Michael Dunker

Jagd auf SEO-Agenturen: So schadet Google Unternehmen

manuelle massnahmen google

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Rechtsanwalt Martin H.* aus München sitzt stirnrunzelnd vor seinem PC. Gerade hat er die Google Webmastertools für seine Website installiert. Und nun prangt dort eine Nachricht der größten Suchmaschine der Welt. „Google hat unnatürliche, betrügerische oder manipulative Links entdeckt, die auf Seiten dieser Website verweisen.“ Jurist H. versteht die Nachricht und die Welt nicht mehr. Denn Suchmaschinenoptimierung (SEO) hat er noch nie aktiv betrieben. Von eingehenden Links hat er überhaupt keine Ahnung. So wie Martin H. geht es seit Kurzem vielen Webmastern. Denn Google hat wieder einmal an den Spielregeln für SEO gedreht. Das Ziel der Suchmaschine ist es, Manipulationen der Suchergebnisse einzudämmen. Doch der jüngste Schuss des Webspam-Teams geht zum Teil nach hinten los. Denn anstatt SEO-Agenturen empfindlich flächendeckend zu treffen, schadet Google eher ahnungslosen Unternehmen.

Carsten F.* ist Online-Marketingchef eines internationalen Konzerns mit Sitz in Norddeutschland. Auch er hat ein Problem mit der neusten Post von Google. Unter dem Menüpunkt „Manuelle Maßnahmen“ in den Google Webmastertools (GWMT) fand er jetzt eine ähnliche Nachricht wie der Rechtsanwalt aus München: „Einige manuelle Maßnahmen gelten für bestimmte Seiten, Abschnitte oder Links.“ Das Unternehmen von Carsten F. hat ebenfalls noch nie Linkaufbau betrieben: „Wir haben nicht einmal einen Shop, sondern betreiben mit Content-Marketing Brandbuilding.“ Nun ist der Marketingchef aber alarmiert. Und etwas verzweifelt. Denn den Grund für die Google-Nachricht kann er nicht ausmachen. In den SEO-Analyse-Tools ist noch kein Abfall der Sichtbarkeit zu erkennen. Auch der Traffic zeigt keine ungewöhnlichen Schwankungen. Nun braucht Carsten F. eine Agentur. Eine SEO-Agentur, die sich auskennt und eine Backlink-Analyse macht. Die Spezialisten müssen gute und schlechte Links sortieren. Die guten ins Töpfchen (stehen lassen), die schlechten ins Kröpfchen (abbauen). Bei zehntausenden eingehenden Links einer international bekannten Marke eine echte Sisyphos-Arbeit. Also langwierig. Und vor allem – teuer.

Manuelle Maßnahmen: Googles neue Transparenz

Google ergreift schon seit Jahren Maßnahmen, wenn eine Website „verdächtige“ Muster im Linkprofil aufweist. Das ist nichts Neues. Neu ist nur, dass diese manuellen Maßnahmen nun für den Website-Betreiber offen in den GWMT angezeigt werden (siehe Googles Posting „Manuelle Webspam-Maßnahmen in den Webmaster-Tools„). Im Prinzip eine gute Idee: Nun können Unternehmen prüfen, ob ihre SEO-Agentur nach den Richtlinien der Suchmaschine spielt oder nicht. Denn klar ist auch: Neben den oben beschriebenen Kollateralschäden treffen die Google-Abstrafungen natürlich auch die „Richtigen“. Unternehmen also, die inhaltlich wenig sinnstiftende Verlinkungen aufbauen (lassen), so den Pagerank manipulieren und damit die eigene Positionen in den Suchergebnissen verbessern. Oftmals wissen diese Unternehmen um das Risiko. Es gibt aber auch Firmen, die nicht so hinschauen oder -hören, was ihre SEO-Agentur genau treibt. Ob wissentlich oder unwissentlich: Wer beim harten Linkaufbau erwischt wurde, muss nun sein Profil aufräumen. Und weil diese Aufgabe Spezialwissen erfordert, sind wieder Agenturen gefragt.

Linkabbau: Ein lukratives Geschäftsfeld

Längst haben sich SEO-Agenturen auf das junge lukrative Geschäftsfeld eingestellt, werben aktiv mit Linkabbau. Nun beginnt ein lustiges Karussell-Spielchen: SEO-Agentur A hat Links für Firma X aufgebaut. Google hat’s bemerkt, verhängt eine „Manuelle Maßnahme“. Firma X ist sauer und beauftragt SEO-Agentur B mit dem Linkabbau. Im fiktiven Beispiel ist Agentur B aber keineswegs der blendend Weiße Ritter und Agentur A ausschließlich dem „Blackhat“-Bereich (nicht Google-konforme Optimierung) zuzuordnen. Denn SEO-Agentur A bietet ebenfalls Linkabbau an. Und hat einen entsprechenden Auftrag von Firma Y bekommen, die von SEO-Agentur B per Linkaufbau in die Google-Abstrafung geführt wurde.

Für SEO-Agenturen ist es prinzipiell natürlich ärgerlich, wenn sie einen guten Kunden durch Manuelle Maßnahmen verlieren. Es kommen aber sicher auch Aufträge von Neukunden hinzu, die sich woanders die Finger verbrannt haben. Zurzeit sieht es also nicht danach aus, als ob SEO-Agenturen massiv unter der neuen Google-Transparenz leiden. Vielmehr zahlen nun optmierungswillige Unternehmen doppelt – einmal für eine fragwürdige Offpage-Optimierung und dann noch einmal für die Aufräumarbeiten.

Linkprofil aufgeräumt – manuelle Maßnahme zurückgenommen. Und was passiert danach? Kein Linkaufbau mehr? Greift dann Googles Plan, die Austrocknung des Linkbuilding-Sumpfes? Nicht wirklich. Denn die Unternehmen wollen immer noch in der Google-Suche nach vorn kommen. Und so sehr Google sein Mantra „Schreibe gute Inhalte und der Erfolg kommt von allein“ auch wiederholt – die Wirklichkeit auf der ersten Ergebnisseite sieht doch anders aus. Hier steht – gerade in umkämpften Märkten – nur, wer Geld ausgibt. Für Technik, für Content und für Backlinks. Während sich an der technischen Optimierung in den letzten Jahren nicht grundlegend viel geändert hat, sind Content und Backlinks vor allem eines geworden – teurer. Und zwar massiv:

Teurer Content: Hingerotzte SEO-Texte am Fuß der Seite reichen nicht mehr aus – so die gängige Meinung. Und überall wird den Unternehmen eingeflüstert, dass Google längst gute von schlechten Texten unterscheiden kann. Nicht nur Journalisten und SEOs verdrehen bei dieser Falschinformation genervt die Augen. Man muss nur die ersten Ergebnisse bei ein paar Suchbegriffen ausprobieren und wird auf schlechte Texte treffen. Aber halt: Qualitativ hochwertiger Content ist dennoch unverzichtbar. Denn dieser soll nicht nur zunächst die Suchmaschine, sondern vor allem die menschlichen Besucher von den Dienstleistungen und Produkten auf der Zielseite überzeugen.

Teure Backlinks: Artikelverzeichnisse – abgestraft. Massenkommentare – kaum wirksam. Billige SEO-Verticals – deindexiert. Guter und nachhaltiger Linkaufbau ist nicht für eine Handvoll Euro zu bekommen. Entweder wird organischer Linkaufbau mit viel Zeitaufwand und oftmals spärlichen Ergebnissen betrieben. Oder es werden autoritäre Premiumlinks akquiriert. Solche Links kommen am besten von „sauberen“ Websites. Organisch gewachsen, gut optimiert. Diese Arbeitsweise hat ihren Preis. Die neue Google-Transparenz führt also eher zu einer Verknappung der Ressource und zu einer Verteuerung. Gute Nachrichten für Agenturen, die so ihr Geld verdienen. Entweder im simplen Arbitrage oder aber im Premium-Segement des Linkaufbaus mit eigenen Ressourcen.

Immerhin scheint hier ein mögliches Zwischenziel von Google erreicht – SEO teurer und SEA damit attraktiver zu machen. Denn in vielen sauber berechneten Cases schneidet eine gute Suchmaschinenoptimierung mittelfristig bisher signifikant günstiger ab als SEA.

Google selbst spielt den Impact der offen gezeigten „Manuellen Maßnahmen“ herunter. Im entsprechenden Blogpost heißt es: „Eine aktuelle Analyse des Index zeigte, dass weit unter 2% aller Websites von einer manuellen Webspam-Maßnahme betroffen sind.“ In Deutschland gibt es laut der DeNIC rund 15,5 Millionen „.de“-Domains. Laut Googles Berechnungen müssten dann rund 300.000 Websites von Manuellen Maßnahmen betroffen sein. Homöopathische Eingriffe sehen anders aus.

Transparenz ist gut, offene Spielregeln sind besser

Gegen die neue Google-Transparenz ist gar nichts einzuwenden. Denn nun wissen Webmaster wenigstens, woran sie sind. In der Vergangenheit sorgten nebulöse Aussagen von Googles Spam-Jäger Matt Cutts eher für Rätselraten und Verwirrung. Auch hier brauchte es SEO-Spezialisten, um Penalties oder Abstrafungsfilter zu erkennen. Manchmal konnten auch ausgewiesene Experten nur raten. Nun liegen die Karten auf dem Tisch. Die Gründe für die Abstrafungen bleiben zum Teil allerdings weiterhin unklar. Zwar zeigt Google hier und da Beispiele für offenbar „manipulative“ Links, oftmals aber auch nicht.

Besonders problematisch: Google ändert gern von Zeit zu Zeit die Spielregeln. Und verhängt Abstrafungen dann auch rückwirkend. Beispiel: Webkataloge galten lange Zeit als gute Möglichkeit, Backlinks aufzubauen. Google argwöhnte diesen Seiten gegenüber schon 2008, bezog aber letztlich nicht konkret Stellung. Webkatalog-Betreiber lasen aus diesem Artikel: Es ist durchaus okay, mit einem redaktionell geführten Webkatalog Geld zu verdienen. Und Webmaster lasen: es ist durchaus okay, sich in redaktionell geführte Webkataloge einzutragen. Heute, sechs Jahre später, gibt es kaum noch funktionierende und in der Google-Suche prominent gelistete Webkataloge. Im Gegenteil: Die Einträge von damals können dem eigenen Linkprofil von heute schaden. Ein ähnliches Schicksal droht derzeit Pressemitteilungen. Sind diese „zu gut“ optimiert, könnten sie möglicherweise schädlich wirken.

Das sind schlechte Signale für Unternehmen, die Google als Traffic-Quelle nutzen wollen. Denn Google behält seine SEO-Spielregeln gern für sich. Und Regelverstöße in einem Spiel ohne glasklar umrissene Grenzen sind an der Tagesordnung: Was gestern vielleicht noch toleriert wurde (oder gar erlaubt war), kann morgen schon problematisch sein. Vielleicht. Oder auch nicht. Der Hintergrund von Googles Verwirrspiel: Die Suchmaschine möchte es Betrügern möglichst schwer machen, Suchergebnisse zu manipulieren. Im Ergebnis funktioniert das bisher eher weniger gut. Denn Fakt ist: SEO-Agenturen passen sich jedem Wink von Google flink an, ändern ihre Dienstleistungen und können sich so über neue Aufträge freuen. Die Unternehmen dagegen sind die Leidtragenden, müssen für das Vor-und-Zurück-Spiel immer wieder Budgets reservieren.

Online-Marketing-Chef Carsten F. hat jetzt ein ausführliches Link-Audit beauftragt. Denn er möchte auf Google als Traffic-Quelle auch künftig nicht verzichten: „Die über Google kommenden Besucher sprechen sehr gut auf unser aufwändiges Content-Marketing an, bleiben lange auf der Seite. Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen darauf.“ Dirk K.*, ebenfalls in der Chefetage eines M-Dax-Unternehmens, ist schon einen Schritt weiter. Die nach der Nachricht in den Google Webmastertools beauftragte Link-Analyse der Unternehmens-Website hat tatsächlich „verdächtige“ und „schlechte“ Links ausgespuckt. Es handelt sich dabei unter anderem um Sport-Vereine, die auf die Unternehmens-Website verlinken. K. kann für die Ergebnisse kein Verständnis aufbringen: „Wenn Vereine aus Dankbarkeit über eine Zusammenarbeit im Sponsoring aus freien Stücken auf uns verweisen, was soll daran schlecht sein?“

Eine berechtigte Frage, die das Unternehmen an den bunten Suchmaschinen-Riesen weiterreichen wird. Im so genannten Neubewertungsantrag.

*Namen gekürzt und geändert, Personen sind dem Autor bekannt.

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